05
Oct
2023

Pubertät – der Weg rein ins Erwachsenwerden

> Pubertät – der Weg rein ins Erwachsenwerden

Warum es in der Pubertät besonders auf Kompromissbereitschaft und Grenzen ankommt


Türen knallen, Pickel, Gemecker und Tränen, die Pubertät ist weder für Eltern noch Kinder* und Jugendliche leicht. Nicht immer sind Hormone an dem Verhalten der Pubertierenden schuld. Dipl. Päd. Jutta Grossekemper (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin) erklärt, wie Grenzen, Kompromissbereitschaft und klare Kommunikation beiden Seiten helfen können, besser durch das „Minenfeld” Pubertät zu kommen. 

Spielball der Hormone
Grenzen werden ausgetestet und das scheinbar liebste Kind schlägt grundlos die Tür zu. Es wird zum trotzigen Spielball seiner Hormone, denn in der Pubertät, dem Schritt rein ins Erwachsenwerden, verschaltet sich das Gehirn neu. Es knüpft Verbindungen, sorgt dafür, dass Hormone ausgeschüttet werden und der Körper den Schritt ins Erwachsenwerdens vollzieht. „Diese Umstellung sorgt zwischen Eltern und Kindern oftmals für viel Sprengstoff“, erklärt Jutta Grossekemper. Da hilft auch der beste Pubertätsratgeber oft wenig.

Zwischen Umarmungen und Wegstoßen
Die Pubertät ist neben dem Reifeprozess des Körpers und der Ich-Findung auch ein Prozess des Loslösens von den Eltern. Die Identitätsentwicklung führt dazu, dass Kinder und Jugendliche nicht nur auf körperliche Distanz, sondern auch auf innere Distanz zu ihren Eltern gehen. Sie wollen in der Pubertät oftmals so wenig wie möglich mit ihren Eltern zu tun haben, trotzdem brauchen sie die Nähe zu ihnen. Es gilt trotz notwendiger emotionaler Präsenz Nähe und Distanz auszubalancieren. Doch Nähe und Distanz sind bei Weitem nicht die einzigen Baustellen, zu denen es in der Pubertät kommen kann. Kinder und Jugendliche suchen Reibungspunkte. Je nachdem, welcher Elternteil gerade zur Verfügung steht, können Eltern auch schon mal gegeneinander ausgespielt werden. Was in Großfamilien größtenteils unter den Geschwistern ausgetragen wird, landet in Familien mit Einzelkindern bei den Eltern. Gerade alleinerziehende Eltern haben es dabei schwer, denn sie bekommen das pubertäre Verhalten mit voller Wucht ab. „Stellen sich Eltern diesen Konflikten nicht und versuchen durch beschwichtigendes Verhalten Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen, fehlen dem Kind hinterher wichtige soziale Kompetenzen wie Durchsetzungsfähigkeit, Argumentationsfähigkeit und Kompromissbereitschaft“, so Jutta Grossekemper.

Erwachsene Kinder
Normalerweise tritt der Prozess des Erwachsenwerdens im Alter von 13 bis 15 Jahren auf. Entwicklungspsychologisch hat sich dieser Prozess um zwei Jahre vorverlagert. Verschiebt sich bei Kindern die Pubertät nach vorne, kommt es zu einem Spagat zwischen dem Reifen des Körpers und einem noch sehr kindlichen Verhalten. Denn Kinder haben in diesem Alter, weder die emotionale, noch die soziale Reife, die es für diesen Schritt braucht. „Ich habe Kinder, die in meine Praxis mit 10 Jahren kommen und bereits in der Pubertät sind“, beschreibt Jutta Grossekemper die Entwicklung. Auch für die Eltern ist diese Situation ungewohnt, denn die meisten sind nicht darauf vorbereitet, dass ihre Kinder so früh in die Pubertät gehen.

Von den Medien beeinflusst
Dreijährige, die zur Beschäftigung ein Smartphone oder Tablet in den kleinen Händchen halten, Sechs- bis Achtjährige, die den ganzen Nachmittag vor dem Fernseher verbringen und Zehnjährige, die auf sozialen Medien wie WhatsApp und Facebook bereits miteinander vernetzt sind. Diese Beispiele führen wohl die Liste an medialem Nutzungsverhalten von Kindern an und sie sind keine Einzelfälle. Gerade bei Jungen, die im Gegensatz zu Mädchen zwei Jahre später in die Pubertät kommen, spielt das mediale Verhalten in dieser Phase eine große Rolle, denn sie nutzen die Medien nicht nur weitaus häufiger, sondern auch wesentlich länger. Dieser mediale Trend wird von vielen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten kritisch gesehen, denn viele der medialen Inhalte können die Kinder und Jugendlichen noch gar nicht richtig verarbeiten. In der hochgradig medialen Beeinflussung der Identitätsentwicklung ist für viele Ärzte und Therapeuten der Grund für eine verfrühte Pubertät zu suchen. Eine von ihnen ist Jutta Grossekemper, die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin spricht von dem Schutzraum „Kindheit“, der den Kindern durch ständige Information und Konfrontation mit Nachrichten genommen wird. Besonders kritisch sieht sie Plattformen wie „TikTok.“ „Das ist eine Plattform, wo sich jeder selbst darstellen kann. Es werden „Fake-Identitäten“ aufgebaut, die irgendwann zusammenbrechen, weil sie nicht mit der Realität übereinstimmen“, erklärt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin.

Bilderrahmen der Erziehung
Klare Kommunikation über die Grenzen, eigene Wertvorstellungen vermitteln und Konsequenzen aufzeigen ist in der Erziehung besonders wichtig. „Erziehung hat einen Rahmen mit vier Ecken. In diesen Ecken stehen jeweils die Grundprinzipien und die sind nicht verhandelbar. Mit zunehmendem Alter wird der Rahmen immer größer. Nur dann lernen die Jugendlichen, sich selbst nach der Pubertät gut zu steuern“, so Jutta Grossekemper das Prinzip der Erziehung. „Das 'Grenzen setzen' fängt jedoch nicht mit der Pubertät an und auch nicht mit dem Eintritt in die Grundschule, sondern schon viel früher.“ Wichtig dabei ist, den Pubertierenden frühzeitig mit einzubeziehen und Wahlmöglichkeiten zu bieten, aber nicht mit zu viel Auswahl zu überfordern. Kinder und Jugendliche brauchen auch im Prozess des Erwachsenwerdens Orientierung, Führung und die Hilfe ihrer Eltern. Nicht umsonst sind in der Pubertät Kompromisse oftmals eine Möglichkeit, auf die alle Beteiligten sich einigen können.

Pubertät als Zeit der Erfahrungen
Pubertät ist die Zeit der Erfahrungen. „Und diese Erfahrung müssen Kinder und Jugendliche machen, um zu lernen, sich selbst zu regulieren“, beschreibt Jutta Grossekemper die Zeit des Erwachsenwerdens. Dazu zählen auch Erfahrungen wie das Austesten von Grenzen, Alkoholkonsum oder Schule schwänzen. „Ich kann dieses Verhalten nicht unterbinden, denn dann wird es heimlich gemacht, aber ich muss Kindern und Jugendlichen die Konsequenzen ihres Handelns aufzeigen. Denn sie können die Tragweite ihres Handelns noch nicht überblicken, sie sind sich der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst. Wir Eltern müssen als Vorbilder fungieren“, erklärt Jutta Grossekemper.  Auch wenn es schwerfällt, eine gute Portion Humor, Kompromissbereitschaft und klare Grenzen helfen dabei den Weg rein ins Erwachsenwerdens für alle zu meistern. 
Jutta Grossekempers Buchempfehlung: „Das Pubertier“ und „Im Reich der Pubertiere“ von Jan Weiler.  

(jhu)

* Kinder: Unter 14 Jahre.