07
Sep
2016

Ist mein Kind amokgefährdet?

Gesundheit > Ist mein Kind amokgefährdet?

Warnhinweise richtig deuten – schnell und sicher handeln


Es sind schreckliche Nachrichten von Amokläufen, die uns mit grausamen Bildern und einsamen Gedanken zurücklassen. Ob München, Erfurt, Winnenden oder Columbine: bei allen Amokläufen waren Jugendliche die Täter. Manchmal zu zweit, meist aber alleine. Immer wieder stellen sich in diesem Zusammenhang die gleichen Fragen. Gab es Anzeichen, dass etwas mit dem späteren Amokläufer nicht stimmte? Hätte das Umfeld die Tat vielleicht verhindern können? Und falls ja: wie? Die Amokforschung gibt eine klare Antwort: Obwohl Amokläufer keineswegs einem bestimmten sozialen Profil entsprächen, könne man die geplante Tat mit Wachsamkeit verhindern. Essenziell wichtig ist dafür eine gute Wissensbasis. Besonders dann, wenn Sie sich Sorgen um das eigene Kind oder Kinder und Jugendliche in Ihrem Umfeld machen.

Die Amokforschung: trauriger Anfang einer neuen Wissenschaft



Die Amokforschung ist sicherlich noch ein neues Wissenschaftsfeld und mit ihren Erkenntnissen noch am Anfang. Fest steht: Die Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien und Analysen entsprechen nicht dem, was medial verbreitet wird. Wissenschaftler haben durch die Täteranalyse bei Amokläufen reichliche Erkenntnisse über deren Beweggründe finden können. Generell gilt: ein möglicher Warnhinweis, ein merkwürdiges Verhalten oder die Abkapselung eines Jugendlichen muss für sich alleine genommen nichts bedeuten, sondern sollte immer im Zusammenhang gesehen werden. Erst wenn sich das Verhalten in ein Muster einordnen lässt, ist Vorsicht geboten.

Homogene Verhaltensmuster erkennbar



Momentan stellen sich Amokläufe unter Jugendlichen als hauptsächlich männliches Problem dar. Männer agieren prinzipiell aggressiver und erleben, dass eine gewisse Form von Aggressivität und Durchsetzungskraft in ihrem sozialen und familiären Umfeld eher akzeptiert wird als bei Mädchen. Dennoch ist auch unter Mädchen und jungen Frauen eine Zunahme der Gewaltbereitschaft erkennbar.

Warnhinweise – darauf sollten Sie achten



Täter fallen in ihrem Umfeld häufig durch ein passives und introvertiertes Verhalten auf, das sich stetig verstärken kann. Am Beginn der Handlungskette steht immer wieder eine leichte Kränkbarkeit der späteren Täter. Kritik wird sehr persönlich genommen und als schwere Niederlage empfunden. Möglicherweise entwickelt sich dadurch eine zunehmende Hoffnungslosigkeit und der Ausschluss oder das Zurückziehen aus Freundeskreisen. Generell zeigen die Amokläufe der vergangenen Jahre, dass die Amokläufer eher Einzelgänger waren und ihre Umwelt in zunehmendem Maße als Bedrohung empfunden haben. Dennoch kann die in den Medien verbreitete These der typischen Einzelgänger in Studien nicht bestätigt werden. Analysen zeigen, dass Täter meist nicht häufiger gemobbt oder ausgegrenzt wurden als andere Mitschüler, sondern sie nahmen diese Erfahrungen vermutlich anders bzw. stärker wahr. Wird das eigene Leben als Niederlage empfunden, entsteht bei Amokläufern eine zunehmende Wut auf eine bestimmte Gruppe, die für die eigenen Gefühle verantwortlich gemacht wird. Das kann eine Gruppe von Mitschülern sein, Frauen oder Lehrer. Häufig schließt sich der Amokläufer also selbst aus der Gruppe aus und isoliert sich damit selbst. Frust und Trauer wandeln sich dann stetig weiter in Wut um.
Nehmen Sie bei Ihrem Kind zunehmende Gewaltfantasien wahr – eventuell auch gegenüber konkreten Personen – könnte das ein erstes ernstzunehmendes Anzeichen sein. Diese werden meist nicht direkt kommuniziert, sondern dringen in Briefen, schulischen Aufsätzen oder Postings in Sozialen Netzwerken nach außen. Eventuell schildern Amokläufer ihre Ideen und Fantasien auch gegenüber Gleichaltrigen oder drücken sie künstlerisch aus. Auch ein gesteigertes Interesse für Waffen oder Sympathiebekundungen gegenüber Amokläufern sind ernste Warnsignale, die mit der Beschaffung von Waffen und der detaillierten Planung des Amoklaufes weitergehen können.

Kurz gefasst, darauf sollten Sie achten:



  • • Passives und introvertiertes Verhalten
  • • Leichte Kränkbarkeit
  • • Geringe Kritikfähigkeit
  • • Fühlt sich ungerecht behandelt (auch und gerade von Lehrkräften)
  • • Hoffnungslosigkeit und Gefühl der Niederlage
  • • Niedrige Frustrationstoleranz
  • • Geringes Selbstbewusstsein
  • • instabile Beziehungslage
  • • Zunehmende und häufig selbst gewollte Loslösung vom persönlichen Umfeld
  • • Gewaltfantasien, die geäußert oder schriftlich/künstlerisch verarbeitet werden
  • • Hass auf bestimmte Gruppen
  • • Zunehmende Gewaltbereitschaft
  • • Verherrlichung von Gewalt
  • • Begeisterung für Waffen
  • • Sympathie für Amokläufer und generelles Interesse an Amokläufen
  • • Veränderung des Aussehens

Was tun, wenn ich ein Muster erkennen kann?



Sie haben konkrete Anzeichen, dass in Ihrem Kind oder einem Kind oder Jugendlichen aus Ihrem Umfeld etwas nicht stimmt? Zögern Sie nicht lange und werden Sie aktiv! Studien und Analysen zeigen, dass Amokläufer schon lange vor dem Amoklauf wissen, dass ihr Verhaltensmuster und ihre Gedankenwelt nicht normal sind. Viele halten sich für psychisch krank oder manisch-depressiv oder haben bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Generell sollten Sie darauf achten, den Druck auf einen verzweifelten und möglicherweise bereits entschlossenen Jugendlichen nicht noch mehr zu erhöhen. Drohungen, Ausschluss oder Abkehr von selbigen kann der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es reicht dann schon eine vermeintliche Kleinigkeit, um den geplanten Amoklauf auszulösen.

Suchen Sie das offene Gespräch. Wenn Sie merkwürdiges Verhalten, Gewaltbereitschaft oder bestimmte Aussagen mitbekommen, sprechen Sie Ihr Kind oder den Jugendlichen direkt an und fragen Sie „Warum hast du das gesagt/getan?“ und holen Sie bei einer konkreten Gefährdungslage psychologische Unterstützung. Viele Amokläufer leiden unter einer Persönlichkeitsstörung, die paranoide oder narzisstische Züge annehmen und durch eine Therapie in den Griff bekommen werden kann. Neben einer Therapie oder einer Behandlung mit Medikamenten kann in einem früheren Stadium auch die Vermittlung von Freizeit- und Sportangeboten helfen, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Ist Ihr Verdacht mit bestimmten Personen wie Lehrern oder Mitschülern in Zusammenhang zu bringen, kann auch eine Aussöhnung unter den Beteiligten für eine Auflösung der Gewaltfantasien und der inneren Konflikte sorgen.

Kurz gefasst: Das können Sie bei einem Verdacht tun:



  • • Keinen Druck durch Abkehr oder Ausschluss erzeugen
  • • Die Person direkt und offen ansprechen
  • • Aussöhnung zwischen Streitenden fördern
  • • Psychologische Unterstützung anfordern
  • • Sport- oder Freizeitangebote vermitteln
  • • Perspektiven aufzeigen

Ist eine Vorbeugung möglich?



Um das Selbstbild und die Gedankenwelt von Amokläufern nachvollziehen zu können, muss ein Blick auf das soziale, familiäre und persönliche Umfeld der Täter geworfen werden. Wichtig dabei: Auch wenn es in den Medien immer wieder so kommuniziert wird, entsprechen die wenigsten Täter einem bestimmten sozialen Profil. Die wenigsten haben tatsächlich Misshandlungen oder Vernachlässigung erlebt. Im Gegenteil: Häufig kommen die Jugendlichen aus Häusern der klassischen Mittelschicht. Woran es möglicherweise fehlt, ist eine enge und stabile Beziehung zu Bezugspersonen wie den eigenen Eltern. Kinder benötigen Urvertrauen und die Sicherheit, sich immer auf jemanden verlasen zu können. Erleben Kinder hingegen überhöhte Erwartungen oder emotionale Kälte, kann das in der Kombination mit bestimmten Charaktereigenschaften und persönlichen Erlebnissen zu derartigen Gedankenkreisen führen.

Warum ein Amoklauf nie spontan passiert



Wichtig ist zu erkennen, dass ein Amoklauf kein spontaner Aussetzer ist, der plötzlich und spontan passiert. In der Regel ist er der Endpunkt einer langen Entwicklung, die Monate oder Jahre vorher ihren Anfang nimmt. Während dieses Prozesses gibt es für das Umfeld jederzeit die Möglichkeit, die Gewalt- und Gedankenspirale des möglichen Täters zu durchbrechen. Zögern Sie nicht, wenn Ihnen etwas auffällt. Die meisten Amokläufer weisen selbst kurz vor ihren Taten auf das Kommende hin und hinterlassen hieroglyphische Nachrichten wie „Das Ende ist nah“ oder „von mir werdet ihr noch hören“. Einen Fehlalarm auszulösen, ist deutlich weniger tragisch, als einen Amoklauf nicht verhindert zu haben.