May
2023
Warum Freies Spielen so wichtig für Kinder ist

Kinder müssen spielen! Spielen ist die Basis für eine gesunde geistige und körperliche Entwicklung unserer Kinder. Unser Nachwuchs sollte die Chance haben, täglich mehrere Stunden zu spielen – und das möglichst ohne das Eingreifen von Erwachsenen. 4 Familii im Gespräch mit Frau Dipl. Päd. Jutta Grossekemper (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Gelsenkirchen) über die Bedeutung des Freien Spielens für unsere Kinder.
Spielen ist Lernen mit Spaß
Da hat sich die Natur doch wieder einmal etwas Geniales ausgedacht: Lernen muss nicht anstrengend oder langweilig sein. Lernen kann so richtig Spaß machen!
Verhaltensforscher haben in verschiedenen Studien nachgewiesen, dass Spielen nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sondern auch Lernen fürs Leben ist. Vor allem bei Säugetieren, aber auch bei Vögeln, Schildkröten, spielen sowohl Jungtiere als auch erwachsene Tiere. Das Spiel ist für Tiere (über-)lebenswichtig. Durch Balgen, Kämpfen und Toben sammeln die Jungen Erfahrungen im sozialen Verband. Sie lernen Jagen, Balzen und dass es Regeln und Gefahren gibt. Ganz nebenbei kräftigen sie spielend ihren Körper.
Beim Menschen ist es nicht anders. Spielen ist der Schlüssel zur Entwicklung menschlicher Kulturen. Menschenkinder müssen genau wie Tierkinder spielen. Auch sie entwickeln ihre Fähigkeiten im Spiel, lernen ihre Welt kennen und finden so ihren Platz darin.
Ganzheitliches Lernen im Freien Spiel
Eine besondere Bedeutung bei der kindlichen Entwicklung hat das Freie Spiel. Beim Freien Spiel wählen Kinder selbst ihr Thema und stellen eigene Regeln auf. Es entwickelt sich bestenfalls ohne die Ideen oder das Eingreifen erwachsener Personen.
„Spielen ist uralt und übernimmt schon immer Aufgaben, die wir Erwachsenen unseren Kindern nur bedingt vermitteln können. Das Freie Spiel dient der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung. Es fördert die sprachlichen und die kognitiven Kompetenzen. Durch das Spiel entwickeln sich zwischenmenschliche Beziehungen. Spielen lehrt, Lösungen bei einem Streit zu finden, Kompromisse zu schließen und Frustrationen zu akzeptieren. Und vor allen Dingen fördert es die Kreativität. Im Freien Spiel lernen Kinder, das Verhalten anderer Kinder zu deuten, es anzunehmen und zu akzeptieren. Sie entscheiden, was sie davon übernehmen möchten und was nicht. Und sie lernen natürlich, was ihr eigenes Verhalten bei anderen auslöst“, erläutert Jutta Grossekemper.
Wenig Kinder, kaum Freiräume und zu viel Organisation
„Ich habe momentan das Gefühl, dass Kinder unter den Bedingungen, wie sie heute aufwachsen, vereinsamen. Das Freie Spiel existiert kaum noch. Ich freue mich, wenn ich Kinder auf der Spielstraße sehe. Aber selbst da wird das immer weniger. Außerdem entwickelt sich unsere Umgebung in eine Richtung, die für das Aufwachsen von Kindern und das Freie Spiel völlig ungeeignet ist. Es entstehen sterile, komplett zubetonierte Wohngebiete. Dort kann unser Nachwuchs keine Erfahrungen sammeln“, stellt Jutta Grossekemper fest.
Und es stimmt: Kinder entwickeln sich zu Stubenhockern. In Deutschland verbringen Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren rund 25 Prozent weniger Zeit damit, draußen zu spielen, als noch ihre Eltern. Es liegt aber nicht nur an den Gegebenheiten. Auch Eltern verhindern unbewusst das Freie Spiel ihrer Kinder. Dazu sagt Jutta Grossekemper: „Viele Eltern organisieren die Freizeit und sorgen sogar für Spielpartner ihrer Sprösslinge. Ein Großteil der Kinder hat schon in der Grundschule drei oder vier feste Veranstaltungen pro Woche wie Musik- und Sprachunterricht, Schwimmen und Sport. Das schränkt die Freizeit der Kinder extrem ein. Sie können nicht einfach spontan spielen. Freies Spiel ist so nicht möglich.“
Generation Egomonster
Wird das Spielen der Kinder ständig beeinträchtigt oder sogar unterbunden, hat dies weitreichende Auswirkungen auf deren Entwicklung. Bedauerlicherweise denken heute viele Eltern, dass Spielen nur ein Lückenfüller ist und Bildungszeit verschwendet.
„Die Folgen von zu viel Organisation und zu wenig Spielen merken wir vor allen Dingen, wenn aus Kindern Jugendliche oder junge Erwachsene werden. Können Kinder nicht frei spielen, wird ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Frustrationstoleranz und Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Sie lernen nicht, sich zurückzunehmen oder eben auch mal voranzugehen, über sich selbst hinauszuwachsen und mutig zu sein. Das Resultat sind kleine Egomonster, die nicht teamfähig sind und große Probleme haben, in der Schule, im Job und in der Gesellschaft klarzukommen“, erläutert Jutta Grossekemper.
Lasst die Kinder einfach mal machen
„Kinder brauchen Zeit für freies Spielen, egal ob sie alleine oder in der Gruppe spielen. Egal ob sie ein Rollenspiel mit zwei Püppchen machen oder draußen mit vielen Kindern spielen“, meint Jutta Grossekemper.
Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern vertrauen. Kinder sind neugierig und möchten ihre Welt selbst entdecken. Eltern sollten den Entdeckerdrang ihrer Kinder fördern, indem sie sie einfach mal machen lassen. Auch auf die Gefahr hin, dass es schiefgeht. Dann kippt der Klötzchenturm eben um, die Sandburg fällt zusammen und die selbst fabrizierte Suppe aus Gras, Blättern und Matsch schmeckt doch nicht so gut wie erwartet. Die Kinder werden versuchen, eigene Lösungen zu finden. Und dieses Überlegen, Ausprobieren, zunächst frustriert und am Ende doch kreativ und erfolgreich sein, sorgt für neue Vernetzungen im Hirn der Kinder und bringt sie weiter. Der Stolz, etwas selbst oder in einer Gruppe geschafft zu haben, gibt Selbstbewusstsein und bringt die Kinder voran. Eltern sollten wohlwollend aus der Ferne zuschauen und auch zulassen, dass ihr Kind sich schmutzig macht oder es mal etwas lauter zugeht.
Das sind Erlebnisse und Abenteuer, die Kinder vorwärtsbringen, an die sie sich ihr ganzes Leben erinnern werden und die kein Action-Freizeitpark oder kistenweise Spielzeug toppen können.
(usf)